1. Uchronie
  2. Steampunk
  3. Virtuelle Geschichte
  4. Parallelgeschichten
  5. Mashups
  6. Zeitreise
  7. Near Future
  8. Science-Fiction

    Quellen und Literatur

Alternative History ist weder in der Wissenschaft noch in der Literatur ein einheitliches Thema.

Wie bei vielen anderen Gebieten gibt es Unterthemen, die sich in der großen Vielfalt von einzelnen Werken zeigen.

Auch sind die Übergänge zu anderen Genres fließend.

Dass Alternativ History ein mit vielen Themen verbundenes Genre ist, möchte ich in diesem Beitrag zeigen.

1. Uchronie

Es gibt zum Beispiel noch die in Frankreich verbreitete Bezeichnung „Uchronie“.

Übersetzt könnte das Wort analog zur „Utopie (Niemalsort)“ als „Niemalszeit“ bezeichnet werden.

Dieses Untergenre bedeutet nicht nur Spekulationen über irgendeine alternative Vergangenheit. Sondern eine Uchronie gilt als eine Utopie der Vergangenheit, in der Geschichte sich so entwickelt, „wie sie hätte sein sollen“.

Den Begriff der „Uchronie“ führte der französische Philosoph Charles Renouvier ein. Er verstand darunter eine „utopie dans l’histoire“, eine Utopie in der Geschichte.

Dies bedeutete, dass Geschichte nur noch vom Menschen und seiner Gegenwart her gedacht werden sollte und nicht mehr nach philosophischen oder religiösen Gesetzmäßigkeiten oder Zielen.

Daher beschrieb er eine Alternative History ausgehend vom römischen Kaiser Marc Aurel so, dass deren Entwicklung gegen die christliche und jüdische Religion lief, die er als größte Bedrohung der individuellen Freiheit sah.

Foto einer beschädigten Christus-Figur, die an einem rostigen Kreuz hängt
(Michel Stevelmans/Shutterstock)

Einen anderen Anspruch hatte das US-amerikanische Werk „Aristopia“, das sich als utopische Erzählung einer möglichen Vergangenheit verstand, aus der die Leser für eine bessere Zukunft lernen sollten.

Auf dieser Zielsetzung aufbauend entwarf der Autor eine alternative „bessere“ Vergangenheit der USA unter einem wohlwollenden Diktator, dessen Gesellschaft deutlich sozialistische Züge zeigt.

2. Steampunk

Eine teilweise ähnlich utopische Zielsetzung pflegt der sicherlich popkulturell prägendste Teil ist der Alternative History, der Steampunk.

Dieses Untergenre nimmt die Science-Fiction des 19. Jahrhunderts auf und erschafft davon ausgehend eine andere Technikgeschichte mit Dampfmaschinen und Luftschiffen als Ausgangspunkt seiner Geschichten.

Daraus hat sich inzwischen eine ganze Szene entwickelt, die die Jugendkultur prägt.

Diese Unterhaltungsliteratur begann in den 1970er Jahren, als sich Autoren in ihren Werken auf die Science-Fiction des 19. Jahrhunderts um zum Beispiel Jules Verne mit 20.000 Meilen unter dem Meer oder H.G. Wells mit Die Insel des Dr. Moreau bezogen.

Eine weitere Quelle stellten sogenannte „Edisonaden“-Hefte dar, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA populär waren. In diesen spielten Aufsteiger die Hauptrolle, die durch Erfindergeist zu Reichtum und Ruhm kamen.

Davon ausgehend entwickelte Steampunk die dort erzählten Entwicklungen und Techniken weiter zu einem eigenen Genre.

Manchmal spielen Literatur und Filme auch mit den Klischees, indem sich Kommunikations- und Transporttechnologie ausgehend von der Basis des 19. Jahrhunderts viel schneller als in der realen Zeit entwickeln, während die restliche Technik und Gesellschaft auf dem gleichen Entwicklungsstand blieben. So wird zum Beispiel das Design von Laptops so gestaltet, als wären sie im Jahr 1850 gebaut worden.

Illustration einer Steampunk-Welt
(Melkor3D/Shutterstock)

Steampunk ist in der Öffentlichkeit jedoch vor allem durch dieses einzigartiges Design bekannt: mit eigener Mode, der Form technischer Geräte oder andere Arten der gestaltenden Kunst.

Mittels individueller Kleidungsstücke inszenieren sich die Anhänger von Steampunk (siehe Bild) als Erfinder und Entdecker aus der bürgerlichen Oberschicht.

Frau im Steampunk-Look
(Kiselev Andrey Valerevich/Shutterstock)

So tragen sie Zylinder mit Schutzbrille oder Anzug und Krawatte neben der Werkzeugtasche.

Als bekanntes Beispiel gelten aufwändig designte Schutzbrillen aus Leder oder Bronze mit auf das 19. Jahrhundert verweisende Verzierungen.

Gerne kombiniert sich diese individuelle Mode mit Reenactment-Veranstaltungen oder als Mode von Bands verschiedener Stilrichtungen.

Daneben gibt es zahlreiche Unter- oder Nebengenres von Steampunk, die den historischen Bezugspunkt nur verlegt haben: Zum Beispiel dient im „Dieselpunk“ die dieselbasierte Technologie von der Zwischenkriegszeit bis zu den 1950er Jahren als Referenz.

Zur Wahrheit gehört meines Erachtens aber, dass es sich bei diesen Untergruppen von der Masse her wirklich um Nischen in der Nische handelt.

Kritisch zu sehen ist, dass Steampunk etwas abgleitet, wenn es die sozialen, kulturellen und individuellen Werte des viktorianischen 19. Jahrhunderts unkritisch zum Maßstab verklärt.

Auch die Technikbegeisterung ist teilweise zu optimistisch ausgeprägt und blendet die sozialen sowie ökologischen Folgen der Industriellen Revolution aus.

Ebenso feiern die unkritischen Teile des Genres solche Entdecker und Erfinder als Helden, die bereits im 19. Jahrhundert als gebrochene Charaktere galten, wie zum Beispiel der mordende Kapitän Nemo von Jules Verne oder der wahnsinnige Doktor Moreau von Wells.

Zuletzt gehören die Akteure der Literatur meistens nur der gebildeten weißen Oberschicht aus Europa und Nordamerika an, während Frauen, Minderheiten oder Menschen der Arbeiterklasse kaum als handelnde Personen vorkommen.

Fairerweise erwähne ich, dass dies nicht immer gilt: Gleich zu Beginn des Genres entwickelte sich eine Spielart, die diese Punkte kritisch reflektiert. So thematisiert sie offen, dass der Reichtum Europas im 19. Jahrhunderts auf der Ausbeutung der Kolonien basierte.

Als Bezugspunkt für diese Linie gilt die Serie „Boneshaker“ der Autorin Cherie Priest.

Diese spielt zwar in einem Steampunk-Szenario der Stadt Seattle, verschweigt aber nicht die sozialen und ökologischen Folgen der Entwicklung und integriert, unter anderem durch die Hauptfigur einer Frau aus der Arbeiterklasse, auch andere Milieus in die Geschichte.

3. Virtuelle Geschichte

Eine weitere Untergruppe des Genres ist die „virtuelle Geschichte“. Nach dem Historiker Niall Ferguson beschränkt sie sich auf Szenarien, welche die Menschen in der realen Welt zur damaligen Zeit tatsächlich erwogen haben.

Diese Gedankenspiele müssen daher explizit auch in der Unterhaltungsliteratur durch Quellen und Sachliteratur gedeckt sein.

So gilt der britische Eintritt in den Ersten Weltkrieg als mögliche „virtuelle Geschichte“. Denn die britische Regierung hatte 1914 tatsächlich erwogen, sich am Konflikt nicht mit seinen Soldaten zu beteiligen.

Foto von britischen Soldaten im Schützengraben des Ersten Weltkriegs
(Everett Collection/Shutterstock)

Durch diese enge Anlehnung bleibt aber die Frage offen, was „virtuelle Geschichten“ von einer reinen Rekonstruktion der tatsächlichen Ereignisse unterscheidet.

4. Parallelgeschichten

Ein anderes Untergenre stellt „Was wäre wenn“-Fragen so, dass andere Personen an politischen Entscheidungshebeln gesessen wären wie in der tatsächlichen Geschichte.

Als Beispiel dient ein Al Gore, der 2000 tatsächlich zum Präsidenten der Vereinigen Staaten gewählt und danach mit Ereignissen wie dem 11. September konfrontiert wird.

Solche Geschichten, die die Realität quasi umkehren und daran entlang eine Alternative History erzählen, heißen „Parallelgeschichten“ und haben meistens satirischen Unterhaltungswert.

Häufig dienen sie auch dazu, politische Rachefeldzüge auszutragen, indem dem politischen Gegner in einem fiktiven Szenario eine möglichst katastrophale Politik angedichtet wird.

Wenn sie die Vorgaben der Geschichtswissenschaft für Alternative History Szenarien nutzen, wären „Parallelgeschichten“ meines Erachtens aber prädestiniert für die historische und politikwissenschaftliche Forschung.

5. Mashups

Das nächste Untergenre der Alternative History Literatur sind sogenannte „Mashups“: In diesen werden fiktive Figuren aus unterschiedlichen Werken in alternativen Erzählungen zusammengebracht.

Zum Beispiel bringt die Kurzgeschichte A Study in Scarlet die Welten von Sherlock Holmes (siehe Bild) und der Horrorgeschichten um den Dämon Cthulhu (siehe Bild) zusammen.

Foto eines Mannes im Stil von Sherlock Holmes
(OSTILL is Franck Camhi/Shutterstock)
Grafik des Monsters Cthulu
(Unholy Vault Designs/Shutterstock)

Solche Mashup-Geschichten haben aber kaum Bezug zur tatsächlichen Geschichte und dienen fast nur der Unterhaltung.

Sofern die Sachkenntnis über die Hintergründe fehlt, sind sie auch kaum durchschaubare, teilweise sogar sinnfreie Unterhaltung.

Wenn aber sowohl das Wissen über die Hintergründe der fiktiven Geschichte und der Charaktere vorhanden ist, können sich „Mashups“ als spannende Rätsel entpuppen.

So können Leser beginnen, die einzelnen Bestandteile der Geschichte auseinander zu lösen. Sie sind aber nur etwas für die Hardcore-Fans von bestimmter Literatur und spielen daher im Ankerpunkte Blog keine Rolle.

6. Zeitreise

Eine Überschneidung zwischen individueller Vergangenheit und Alternative History bietet wiederum das Genre der „Zeitreise“. Individuen reisen dabei in der Zeit vorwärts oder rückwärts und verändern oftmals den Lauf der Geschichte.

Grafik des Autos aus Zurück in die Zukunft
(Chonnajak/Shutterstock)

So lässt zum Beispiel der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain in einem der frühesten Werke dieses Genres, A Yankee in King Arthur’s Court, einen US-Amerikaner des 19. Jahrhunderts an den Hof König Arthus im Jahr 528 reisen und dort die Techniken der Industriellen Revolution nutzen.

7. Near Future

Ein weiterer Spezialfall sind „Near-Future“-Romane, die alternative Entwicklungen der jeweils nahen Zukunft behandeln.

Dies galt zum Beispiel für zahlreiche Romane in den 1960er Jahren, die sich unter dem Label „Dritter Weltkrieg“ mit möglichen zukünftigen, aber jeweils kurz bevorstehenden Atomkriegen und deren Folgen befassten.

Dieses dystopische Genre spielte häufig in verwüsteten Städten.

Grafik einer zerstörten Stadt
(SugaBom86/Shutterstock)

8. Science-Fiction

Ausgehend von den letzten beiden Untergenres sind die Grenzen von Alternative History zur Science-Fiction fließend.

Beide spekulieren über unterschiedliche Entwicklungen im Laufe der Zeit. Alternative History über die Vergangenheit, Science-Fiction über die Zukunft.

Manchmal greifen beide Genres auch ineinander.

Der US-Amerikaner Harry Turtledove hat sich sogar zum aktuell erfolgreichsten Autor unter dem Label Alternative History entwickelt, indem er in seinen Werken Alternative History, Science-Fiction und Fantasy vermischt.

Auch zählt Alternative History Literatur häufig zum größeren Thema der Science-Fiction. So vergibt die World Science Fiction Society jährlich zwei „Sidewise Awards für alternative Geschichte“.

Zusätzlich gibt es mittlerweile im angelsächsischen Raum Literatur, die sich explizit der Alternative History von klassischen Science-Fiction-Geschichten widmet.

So veröffentlichten die Macher von Star Wars Anfang der 2000er Jahre eine Comicreihe, die alternative Entwicklungen der klassischen Trilogie beschrieb. Zum Beispiel, was gewesen wäre, wenn der Held Luke Skywalker im zweiten Film auf dem Eisplaneten Hoth gestorben wäre.

Ein blaues und ein rotes Lichtschwert, die sich kreuzen.
(SkillUp/Shutterstock)

Diese interessanten Geschichten stehen daher für eine zukünftige Veröffentlichung im Ankerpunkte Blog mittelfristig auf dem Plan.

Was die restlichen Untergenres angeht, wird das zukünftige Wachstum des Blogs zeigen, was möglich ist.

Quellen und Literatur

  • Alexander Demandt: Es hätte auch anders kommen können. Wendepunkte deutscher Geschichte. Berlin 2015.
  • Johannes Dillinger: Uchronie. Ungeschehene Geschichte von der Antike bis zum Steampunk. Paderborn 2015.Thalia Button
  • Richard J. Evans: Veränderte Vergangenheiten. Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte. München 2013.Thalia Button
  • Thomas Lindemann: Wenn Nazis siegen und die Schweiz Krieg führt. Alternative Geschichte, auf: welt.de (26.09.2008).
  • Peter Maxwill: Als Hitler den Krieg gewann. Alternativgeschichtsforschung, auf: spiegel.de (09.12.2013).
  • Hans-Peter von Peschke: Was wäre wenn. Alternative Geschichte. Darmstadt 2016.

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