Am 9.11.2001 erschüttern Anschläge die Vereinigten Arabischen Staaten. Doch dahinter verbirgt sich im Roman von Matt Ruff eine noch viel größere Geschichte.

Ankerpunkt

Am 11. September 2001 (9/11) kam es zu den Anschlägen in New York und Washington durch islamistische Terroristen. Sie entführten vier Flugzeuge und steuerten zwei davon in das World Trade Center in New York.

Während das dritte Flugzeug ins Pentagon, das US-amerikanische Verteidigungsministerium, flog, stürzte die vierte Maschine aufgrund des Widerstands der Passagiere vor dem unbekannten Ziel ab.

Kurz darauf bekannte sich die islamistische Gruppierung al-Qaida unter ihrem Anführer Osama bin-Laden zu den Angriffen.

Die Terroranschläge am 11. September 2001 forderten nicht nur das Leben von über 3.000 Menschen. Sie lösten auch den „Krieg gegen den Terror“ aus, der in den USA zu schärferen Sicherheitsgesetzen führte.

Die bekanntesten Folgen waren jedoch die Angriffe von US-geführten Koalitionen gegen Afghanistan 2001 und den Irak 2003. Beide Invasionen führten zu langwierigen Kriegen gegen einheimische und islamistische Guerilla-Krieger. Sie veränderten so auch die Weltgeschichte und vor allem den Nahen Osten nachhaltig.

Inhalt

Matt Ruff dreht in Mirage dieses Ereignis um: Am 9. November 2001 (11/9) steuern christliche Fanatiker mehrere Flugzeuge in die Euphrat-und-Tigris-Türme von Bagdad. Von einer gleichen Attacke wird auch das arabische Verteidigungsministerium in Riad getroffen. Ein viertes Flugzeug stürzt wegen des Widerstands der Passagiere ab.

Als Reaktion auf diese Terroranschläge starten die „Vereinigten Arabischen Staaten“ (VAS), die einzige Supermacht des Planeten, eine Invasion der „Christlichen Staaten von Amerika“ (CSA). Dieses Dritte-Welt-Land gilt als aggressiver Fundamentalistenstaat, der schon länger der Terrorunterstützung verdächtigt wurde.

Doch dieser Krieg gegen den Terror führt nicht nur zu hohen Verlusten unter den Koalitionsstreitkräften, sondern auch zu weiteren Anschlägen von christlichen Fundamentalisten.

Vor diesem Hintergrund ermitteln in Bagdad Mustafa al-Bagdadi und sein Team gegen mehrere Terrorzellen. Dabei stoßen sie auf immer mehr Hinweise auf eine Fata Morgana (Französisch Mirage, siehe Bild). Diese behauptet, dass nicht die VAS die 2001 angegriffene Supermacht wären, sondern die nie bestandenen USA.

Foto einer Fata Morgana
(Guido Vermeulen-Perdaen/Shutterstock)

Während die Ermittler der Heimatschutzbehörde immer tiefer in dieses Rätsel geraten, müssen sie sich auch mit weiteren Gruppierungen der VAS auseinandersetzen.

Dazu gehören nicht nur die Schläger der Baath-Gewerkschaft um den Untergrundverbrecher Saddam Hussein, sondern auch die rätselhafte Kommando-Truppe des Senators Osama bin-Laden – al-Qaida.

Rezension

Mirage von Matt Ruff hat das klare Ziel, die Verhältnisse im Vergleich zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 umzudrehen. Dies zeigt sich nicht nur am Zahlendreher beim Datum des fiktiven Anschlags.

Jenseits dieser redaktionellen Grundlage interessiert sich Matt Ruff nicht für die alternative Geschichte seines Romans. Denn bis zum Schluss erklärt er nicht, wo der Ankerpunkt für die unterschiedliche Entwicklung der arabischen und amerikanischen Staaten liegt.

Daher stellt der Roman keine „klassische“ alternative Geschichte dar. Matt Ruff benutzt seine Erzählung als Fata Morgana der realen Geschichte, ohne diese konkret an einem Anker- oder Wendepunkt festzumachen. Auch das Cover von „Mirage“ (siehe Bild) geht auf die Eigenschaft als Parallelweltgeschichte ein.

Buchcover von Mirage
(Eigenes Bild)

Vielmehr nutzt er diese Spiegelung der realen Ereignisse als Stilmittel. Dies ist nicht nur unterhaltsam, sondern bringt den Leser auch zum Nachdenken über die realen Verhältnisse.

Obwohl das Werk so keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat, ist die Alternativwelt sehr schön und dicht beschrieben. Vor allem Einschübe zwischen den Kapiteln, die eine fiktive Wikipedia-Alternative zitieren, bringen wertvolle Hintergrundinformationen.

Zusätzlich finden sich in dieser Welt detaillierte, fast satirische Parallelen beziehungsweise Verschiebungen zu realen Geschichte. Sowohl die Politik in Bagdad (siehe Bild), der VAS und der CSA als auch die Baath-Gewerkschaft und al-Qaida sind voller Charaktere aus der „realen“ Geschichte.

Bild von Bagdad mit dem Fluss Tigris
(LanBaiyu/Shutterstock)

So spielt in den VAS zum Beispiel der Senator Osama bin-Laden eine große Rolle, während im christlichen Widerstand der CSA viele Namen der realen US-Regierung von Präsident Georg W. Bush von 2001 auftauchen.

Zusätzlich beschreibt Matt Ruff auch die islamische Prägung der Vereinigten Arabischen Staaten gut. Zum Beispiel überprüft eine Halal-Behörde die Einhaltung von Speise- und Trinkvorschriften für Muslime.

Dabei kommt er nicht in die Versuchung des Wunschdenkens: Die arabische Supermacht ist trotz aller Modernität ein Staat, der auch fundamentalistischen Muslimen Einfluss gewährt. Zum Beispiel ist Homosexualität nach wie vor gesellschaftlich geächtet.

Nicht besser kommen die christlichen Fanatiker weg. Sie sind in mehrere Kirchen aufgesplittert und nur durch den Hass auf Muslime sowie Juden einig. Auch führen genügend Namen dieser Protagonisten zu christlichen Terroristen und Psychopathen in der realen Welt.

Zuletzt baut Matt Ruff die Hauptprotagonisten in Mirage sehr vielschichtig auf. Sein Hauptcharakter Mustafa al-Bagdadi ist zum Beispiel ständig im Konflikt zwischen seinen Pflichten als Muslim und Sicherheitsbeamter, sowie seinen eigenen Moralvorstellungen und persönlichen Verpflichtungen.

Einziges Manko aus meiner Sicht ist die Klärung für die physikalische Entstehung dieser Parallelwelt: Diese bezieht sich auf die reale Welt und nutzt einen „Deus ex machina“. Da der Roman sehr lesenswert ist, gehe ich darauf aber nicht näher ein.

Insgesamt empfehle ich Mirage von Matt Ruff daher gerne weiter.

Quellen und Literatur

  • bymattruff. Homepage von Matt Ruff: The Mirage.
  • Matt Ruff: Mirage. München 2014.Thalia Button

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