Was wäre, wenn Zeitreisen möglich wären? Wolfgang Jeschke führt diesen Gedanken in seinem Meisterwerk der Science-Fiction aus. Er geht dabei nicht nur an die Grenzen der Zeit, sondern auch an die des Menschseins.

Ankerpunkt

Die Messinische Salinitätskrise

Vor über 5 Millionen Jahren hatte das Mittelmeer keine Ähnlichkeit mit dem heutigen Gewässer.

Als sich um diese Zeit die Straße von Gibraltar durch Verschiebung der Kontinentalplatten schloss, lieferten nur noch Flüsse wie Nil oder Rhone Wassernachschub.

Daher trocknete das Mittelmeer schnell aus und verwandelte sich durch die Ablagerungen des Wassers in eine große Salzwüste.

Nur die bestehenden Flusssysteme, die über tiefe Canyons in das Mittelmeerbecken mündeten, sorgten in ihrer Umgebung für Oasen.

Noch das heutige geologische Relief des Mittelmeers (siehe Bild) zeigt deutlich, wie klein der für die Wasserzufuhr notwendige Zugang bei Gibraltar ist und dass der Meeresboden durchaus schnell trocken fallen kann.

3D-Darstellung des Mittelmeers und der angrenzenden Länder
(Kitnha/Shutterstock)

In den Oasen konnten Tiere, wie Elefanten, Flusspferde, Löwen oder Antilopen, und Pflanzen überleben.

Ebenso bildeten die heutigen Inseln wie Sizilien oder Sardinien Gebirge, in denen ebenfalls gemäßigtes Klima herrschte.

Dieses Zeitalter endete in geologischen Maßstäben relativ schnell.

Bereits nach 170.000 Jahren grub sich das Wasser des Atlantiks zuerst langsam, dann schneller durch die Straße von Gibraltar zurück.

Dadurch veränderte sich das Klima wieder und aus der Wüste wurde eine immer mehr überflutete, eher mediterrane Landschaft.

Innerhalb von wenigen Jahrhunderten füllte sich das Mittelmeer aber wieder und erhielt seine bis heutige bekannt Gestalt.

Erste Hinweise auf die Messinische Salinitätskrise lieferte 1970 die Expedition des – auch in „Der letzte Tag der Schöpfung“ vorkommenden – Bohrschiffs „Glomar Challenger“.

Damals fanden die Forscher erstmals Bohrkerne, die auf große Salzablagerungen unter dem Boden des Mittelmeers hindeuteten.

Erst danach setzte sich das Bild der „Messinischen Salinitätskrise“ immer mehr durch.

Vorher hatte die Menschen teilweise optimistischere Sichtweisen auf ein ausgetrocknetes Mittelmeer.

So plante der deutsche Architekt Herman Sörgel mit „Atlantropa“ ein gigantisches Projekt. Dabei sollte das teilweise trocken gelegte Mittelmeer als landwirtschaftliche Fläche dienen.

Die Ölkrise der 1970er Jahre

Als die „Organisation Erdöl exportierender Staaten“ (Opec) am 17. Oktober 1973 eine Reduzierung ihrer Fördermenge verkündete, wollte sie damit die westlichen Staaten im gerade ausgebrochenen Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Ägypten/Syrien unter Druck setzen.

Diese eher kurzfristig angelegte Maßnahme sorgte jedoch für einen regelrechten „Ölpreisschock“ in Westeuropa und den USA (siehe Bild).

Foto eines Schildes, andem eine Tankstelle ankündigt, keinen Benzin mehr zu haben
(Everett Collection/Shutterstock)

Denn die Reduzierung und der anschließende Konjunktureinbruch deckten gnadenlos auf, wie abhängig die Wirtschaft dieser Länder von einer regelmäßigen Versorgung mit Erdöl aus dem Nahen Osten war.

Entsprechend galt diese Krise als Ende von Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufschwungs, die in Deutschland als „Wirtschaftswunder“ in die Geschichte eingingen.

Stattdessen dominierte kurzzeitig das Bild von leeren Autobahnen, auf denen die Bürger an autofreien Sonntagen spazieren gingen oder Fahrrad fuhren.

Denn 1979 kam es nochmals zu einer Reduzierung der Fördermenge der Opec, die erneut in einem „Ölpreisschock“ mündete.

Daher begann in den USA und Europa die Suche nach Alternativen. So investierten die Staaten massiv in die Atomenergie oder suchten nach anderen Ölquellen.

Zur Wahrheit gehörte jedoch auch, dass die Volkswirtschaften dieser Länder bereits vor 1973 in Krisen steckten.

So mussten die USA 1971 im sogenannten „Nixon-Schock“ die Bindung des Dollars an die Goldreserven aufgeben.

Dies zerstörte das stabile Währungssystem der Nachkriegszeit.

Grund hierfür waren die exorbitanten Kosten des Vietnamkriegs und von diversen Programmen zur Linderung der großen sozialen Probleme im Land.

Inhalt

Das Chronotron-Projekt

In „Der letzte Tag der Schöpfung“ verfallen die USA dagegen auf eine völlig andere Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme.

Denn zwischen 1959 und 1969 tauchen im Blickfeld des Geheimdientes CIA mehrere Artefakte auf.

Diese sind nachweislich Millionen Jahre alt, bestehen aber aus modernsten Materialien.

Zuerst findet ein deutscher Fremdenlegionär in Algerien eine verwitterte Waffe, deren experimentelle Legierung die USA gerade erst erproben.

Als US-amerikanische Experten diese Einschätzung bestätigen, starten CIA und US-Navy die Suche nach weiteren Funden.

Dabei stoßen sie schnell auf Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, die in Gesteinsschichten bei Gibraltar zweifelsfrei einen verrotteten Jeep zeigen.

Als die katholische Kirche beim Überprüfen von Reliquien aus dem Mittelalter bei der „Flöte des heiligen Sankt Veit“ ebenfalls auf Millionenjahre alte, aber modernste Materialien stößt, landen diese Erkenntnisse ebenfalls bei den US-Amerikanern.

Gleichzeitig pumpen die USA enorme Forschungsmittel in das „Chronotron-Projekt“.

Bis Anfang der 1980er Jahre beweist das Projekt nicht nur die theoretische Möglichkeit von Zeitreisen in die Vergangenheit.

Mehrere geborgene Zeitkapseln zeigen auch, dass das „Chronotron-Projekt“ erfolgreich Dinge in verschiedene Epochen schicken konnte.

Nach diesen wissenschaftlichen Erfolgen soll das Projekt nach Meinung seines Leiters, des US-Admirals William W. Francis, nun eine entscheidende Operation im Kalten Krieg durchführen.

Das Unternehmen Westsenke

Denn mit „Unternehmen Westsenke“ nimmt das eigentliche Ziel der Anstrengungen immer mehr Formen an.

Der ehemalige Kampfpilot und Astronaut Steve Stanley gehört zu den Freiwilligen, die über 5 Millionen Jahre in die Vergangenheit reisen sollen.

Im damals ausgetrockneten westlichen Mittelmeer sollen mehrere Gruppen über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten landen.

Dort sollen sie Pipelines bauen, um das Öl aus dem Nahen Osten ab- und in die heutigen USA zu pumpen.

Doch nach dem Zeitsprung kommen Steve und seine Kameraden nicht nur in einer neuen, ihnen fremden Zeit an.

Sondern auch in einer unerwartet feindseligen Welt. Denn sie werden quasi sofort mit Atomgranaten unter Feuer genommen (siehe Bild).

Foto des Abschusses einer Atomgranate mit Atompilz
(Everett Collection/Shutterstock)

Denn die US-Amerikaner sind nicht die einzigen Chrononauten in dieser Epoche, geschweige denn aus ihrer eigenen Epoche.

Zudem treffen sie auf die Vorfahren der Menschen in dieser Zeit.

Diese Menschenaffen haben sich durch die Ankunft der verschiedenen Zeitreisenden stark verändert.

Zurückgelassen Millionen Jahre vor unserer Gegenwart, kämpfen die Männer in einem Krieg, der immer unverständlicher wird, je mehr sie darüber erfahren.

Rezension

Science-Fiction und Alternative History

Warum hier rezensiere ich hier für den Ankerpunkte Blog Science-Fiction?

Weil Zeitreisen wie in „Der letzte Tag der Schöpfung“ an einer Urfrage der Alternative History rühren.

Nämlich, was jemand verändern könnte, der mittels Zeitreisen in die Vergangenheit gelangt, und welche alternativen Vergangenheiten dadurch entstehen würden.

Dieser Frage widmet sich Wolfgang Jeschke durchaus ausführlich.

So macht sich ein Soldat Gedanken über verschiedene Punkte in der Geschichte und wie sie zu den Gegenwarten der verschiedenen Mitglieder des chrononautischen Spezialkommandos führten.

Denn jede Zeitreise erschafft eine neue (Alternative) History der Gegenwart.

Vor allem, wenn verschiedene verfeindete Fraktionen aus unterschiedlichen Zeiten ihre Leute in die Vergangenheit schicken.

Oder wie es ein Wissenschaftler in „Der letzte Tag der Schöpfung“ zu bedenken gibt:

„Das heißt nichts anderes […] als jeden Konflikt in die Vergangenheit hinein zu verlängern und jede Entscheidung zu einer vorläufigen zu reduzierbaren. Jeder Sieg wäre in Gefahr, nachträglich in eine Niederlage verwandelt zu werden. Das wäre eine Gleichung – beinahe hätte ich Spiel gesagt – mit unendlich vielen Variablen.“

Wolfgang Jeschke: Der letzte Tag der Schöpfung

Diesen Gedanken gibt Wolfgang Jeschke breiten Raum, auch wenn er die einzelnen Szenarien nur andeutet:

  • Einige Soldaten stammen aus verarmten USA, die von einem durch die Habsburger regierten Mexiko dominiert werden.
  • Andere Chrononauten stammen aus Alternativwelten, in denen Israel die Südflanke der NATO bildet oder gar nicht existiert.

Diese Gedanken spinnt Jeschke weiter, denn manche der Männer fragen sich nach Kenntnis der verschiedenen Herkünfte, ob die Gegenwart ihrer Erinnerung noch real und – um im Wording des Romans zu bleiben – noch Teil der Schöpfung ist.

Große Fragen der Science-Fiction

„Der letzte Tag der Schöpfung“ rührt damit an die großen Fragen der Science-Fiction.

Das ist die reizvollste Historiografie, die man sich ausdenken kann, Steve. Tagträume sind wichtig. Die ungeheuren, nie verwirklichten Möglichkeiten der Geschichte. An den Punkten, wo die Wirklichkeit sich für einen überraschenden Moment öffnet und den Blick auf die Landschaft einer anderen Realität freigibt, dort liegen die Bergwerke der menschlichen Phantasie.

Wolfgang Jeschke: Der letzte Tag der Schöpfung

Daher trägt Wolfgang Jeschke seinen Ruf zu Recht.

So galt er als „Obi Wan Kenobi der deutschen Science fiction [sic!]“ und gehörte „zu den Edlen und Weisen seiner Profession“, so der ebenfalls renommierte Autor Frank Schätzing in seinem Vorwort.

Buchcover von "Der letzte Tag der Schöpfung"
(Eigenes Bild)

Denn neben der Alternative History widmet sich Wolfgang Jeschke noch weiteren großen Fragen:

Die erste ist die nach dem Verhältnis von Mensch und Technik.

So blickt er mit ironischem Blick auf die Technikgläubigkeit des US-Militärs im Kalten Krieg, aber auch der Menschheit insgesamt.

Als Beispiel nennt er den Start des „Unternehmen Westsenke“ ohne eine Rückkehrmöglichkeit für die Soldaten und Techniker.

Denn die Auftraggeber gehen davon aus, dass sie mit genügend Mitteln und Zeit irgendwann irgendeine Lösung finden werden.

Aber auch die Religion und die Aufklärung beschreibt Wolfgang Jeschke mit ironischen Worten, wie im frühen Kapitel zu „Die Flöte des hl. Veit“.

Die zweite große Frage von „Der letzte Tag der Schöpfung“ ist die nach dem Menschsein an sich und der damit einhergehenden Verantwortung für die Schöpfung insgesamt.

Dabei bedient sich Wolfgang Jeschke auch religiöser Anspielungen.

So beschreibt er die Zeitmaschinen als einen Wal, der die Kommandotrupps wie Jonas in der Bibel in die Vergangenheit spukt.

Diese Vergangenheit sollte ein Paradies sein, entpuppt sich auf den zweiten Blick aber als eine (atomare) Hölle.

Denn die Menschen der Gegenwart(en) verhalten sich teilweise weniger „zivilisiert“ und „gut“ als ihre Vorfahren aus den verschiedenen Gruppen von Menschenaffen.

Damit ignorieren die verschiedenen Fraktionen der Chrononauten die Schöpfung der Vergangenheit und zerstören damit diese sowie am Ende sich selbst.

Die Menschen der Gegenwart(en) bringen sich durch diese Hybris in der Vergangenheit – so scheint es – um ihre eigene Zukunft.

Doch am Ende scheint alle Technikgläubigkeit der Menschen verschiedener Länder und Zeiten angesichts der Zeiträume bis zur Millionenfernen Gegenwart nur als „Mund voll Wasser gespukt in den Ozean“.

Die letzte, unbeantwortete Frage von „Der letzte Tag der Schöpfung“ an die Menschen lautet daher: Wie viel ist also ihre Schöpfung wert?

Neben diesen großen Fragen fällt auch der Schreibstil sehr positiv auf.

So bleiben auch die großen Schachtelsätze und die langen Beschreibungen von Personen immer hervorragend lesbar.

Vor allem der über mehrere Seiten gehende Zeitsprung gehört zu den spannendsten Episoden, die ich in der Science-Fiction gelesen habe.

Daher sehe ich auch gerne über erzählerische Freiheiten hinweg: So war das Mittelmeer von „Der letzte Tag der Schöpfung“ eher eine Salzwüste, denn eine mediterrane Landschaft.

Und der Wasserfall bei Gibraltar, der das Mittelmeer wieder auffüllt, gilt in der Forschung als veraltet. Eher kann man sich den Durchbruch als großen Wasserstrom vorstellen.

Insgesamt empfehle ich Wolfgang Jeschkes Meisterwerk der Science-Fiction gerne weiter.

Quellen und Literatur

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