Im Jahr 2011 existiert die DDR weiter unter der Führung von Egon Krenz. Mit dem neuen Bundeskanzler Oskar Lafontaine soll es deutsch-deutsche Gespräche geben. Da verwickelt ein Mord den Volkspolizei-Hauptmann Martin Wegener direkt in die größten Geheimnisse der „wiederbelebten“ DDR.

Ankerpunkt

Der gescheiterte Kronprinz Egon Krenz

Als Egon Krenz am 18. Oktober 1989 die Macht in der DDR von Erich Honecker übernahm, schien dieser Schritt zuerst logisch.

Das mit 52 Jahren jüngste Mitglied des Politbüros der SED hatte als Vorsitzender der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und Spitzenfunktionär der Freien Deutschen Jugend (FDJ) eine lange Karriere in den Organisationen der DDR und SED hinter sich.

Bereits seit 1984 wurde er als Mitglied des Politbüros – des engsten Führungszirkels der SED und damit der DDR – und Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates zum zweitmächtigsten Mann des Regimes und galt als „Kronprinz“ des über 20 Jahre älteren Erich Honecker.

Doch die DDR und die SED befanden sich im Oktober 1989 bereits im fortschreitenden Zerfall.

Viele Wirtschaftszweige waren unproduktiv. Die Infrastruktur an Schiene und Straße war in Teilen nicht mehr nutzbar. Die Defizite in der Landwirtschaft führten sogar zu Engpässen in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Der teuer subventionierte Wohnungsbau konnte den Sanierungsstau bei zerfallenden Wohnungen nicht auflösen. Hinzu kam durch die hohe Umweltverschmutzung und die zurückfallende Gesundheitsversorgung eine sinkende Lebenserwartung.

Diese Probleme konnten weder durch politische Propaganda noch durch die Überwachung des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) beseitigt werden.

Stattdessen wuchs ab 1985 die Opposition in Form von Kirchengruppen und deren Umfeld. Die meisten dieser Gruppen strebten eine Reform der DDR an, keine Revolution oder Wiedervereinigung.

Erst das Ende der Grenzbefestigungen zwischen Ungarn und Österreich im Mai 1989 sowie die im gleichen Monat von massiven, dieses Mal durch die Opposition nachgewiesenen Wahlfälschungen begleiteten Kommunalwahlen führen zu einer enormen Fluchtwelle aus dem Land sowie zur Gründung von größeren Oppositionsgruppen.

Dem stand die Führung der SED passiv gegenüber. So verweigerte Honecker stets eine Anpassung an die Reformversuche Gorbatschows in der Sowjetunion.

Gleichwohl waren die Sicherheits- und Geheimdienstorgane der DDR nach wie vor intakt, wie sich bei Repressionen gegen Demonstrationen Anfang Oktober 1989 in Ost-Berlin zeigte. Auch verhielt sich die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin passiv und abwartend.

Doch die Schwäche des Systems zeigte sich immer mehr. Am 9. Oktober ließ Egon Krenz als der für Sicherheit zuständige Sekretär des Zentralkomitees die Sicherheitskräfte in Leipzig lange im Unklaren über ein Eingreifen gegen eine große Demonstration, bevor er nachträglich deren passiven und gewaltfreien Kurs absegnete.

Ähnlich scheitere Egon Krenz (siehe Bild von 1989 unten) auch, als er im Zuge einer bereits länger vorbereiteten Intrige am 17. und 18. Oktober 1989 die Nachfolge von Erich Honecker in dessen verschiedenen Ämtern antrat.

Offizielles Porträt von Egon Krenz als Generalsekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrates der DDR, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR im Jahr 1989. Was er in "Plan D" bis 2011 bleibt.
(Wikimedia-Autor: Bundesarchiv, Bild 183-1984-0704-400/CC-BY-SA 3.0)

Zuvor hatte Krenz tagelang mit den anderen Mitgliedern des Politbüros Einzelgespräche geführt, um Honecker abzulösen. In der entscheidenden Sitzung des mächstigsten Gremiums stimmten schließlich nach anfänglicher Unsicherheit alle Mitglieder – sogar Honecker selbst – für einen Führungswechsel.

Krenz konnte die Lage jedoch weder durch Reden noch durch kurzfristige Grenzöffnungen zur Tschechoslowakei beruhigen. Unter ihm beriet das SED-Zentralkomitee nur kleinere Reformvorhaben.

Zum Beispiel zeigte eine Krisensitzung ab dem 8. November nur das gesamte Ausmaß der wirtschaftlichen Katastrophe und der politisch schwindenden Macht der zerfallenden SED.

Der parallel entstandene Plan, die Mauer Anfang November kurzzeitig zu öffnen, um politischen Druck herauszunehmen und danach wieder zu schließen, scheiterte am 9. November welthistorisch mit dem Mauerfall.

Dieser führte zum endgültigen Zusammenbruch des SED-Regimes, zu den ersten freien Volkskammer-Wahlen im März 1990 und zur Wiedervereinigung im Oktober 1990.

Egon Krenz konnte diese Phase nicht mehr prägen: Ihm blieb nur der Rücktritt von allen politischen Führungsämtern im Dezember 1989.

Die deutsch-russische „Energiediplomatie“

Eine der wenigen Devisenbringer der DDR waren die Gebühren aus der Durchleitung von Erdgas aus den sibirischen Fördergebieten der Sowjetunion in die Bundesrepublik.

Diese Art der Außen- und Wirtschaftspolitik war in der Bundesrepublik Deutschland lange umstritten.

Zwar hatte es bereits nach der offiziellen Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen BRD und UdSSR im Jahr 1955 erste Interessensbekundungen von westdeutschen Röhrenherstellern an den Erdgasfeldern gegeben.

Doch ein durch die USA 1962 durchgesetztes Exportverbot von Röhren in den Ostblock schob den bereits unterzeichneten Lieferverträgen einen Riegel vor. Als das Embargo 1966 ablief, begannen die Unternehmen erneut mit der Lobbyarbeit für Geschäfte mit der Sowjetunion.

Ein Durchbruch gelang erst mit der „Neuen Ostpolitik“ unter Bundeskanzler Willy Brandt, der die Initiative der Wirtschaft als Unterstützung seiner politischen Pläne sah.

1970 kam es zum ersten Vertrag, bei dem westdeutsche Konzerne die Röhren für die Gasleitungen errichten und die Sowjetunion diese mit Gaslieferungen über 20 Jahre bezahlte.

Diese „deutsch-sowjetische Energiediplomatie“ hielt auch weiter über Krisen des „Kalten Krieges“, Regierungswechsel in der Bundesrepublik und den Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre.

So baute die UdSSR in den 1970er und 1980er Jahren zum Beispiel mit Unterstützung der DDR weitere große Gasleitungen (siehe Bild aus der heutigen Zeit vom Bau einer Pipeline in Brandenburg unten), zum Beispiel die „Druschba-Trasse“, um durch den Gasexport Devisen in den Ostblock zu bekommen.

Luftaufnahme vom Bau einer Gas-Pipeline in den Wäldern von Brandenburg.
(KarachoBerlin/Shutterstock)

Einen neuen Höhepunkt erreichte der Gas-Handel ab den 2000er Jahren. Die Energiewende der rot-grünen Bundesregierung setzte neben den Erneuerbaren Energien vor allem auf Gas als Strom- und Wärmequelle.

So gingen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin das Geschäft ein, das zur späteren Ostseepipeline „Nord Stream 1“ führte. Seit 2015 kam es zum weiteren Projekt „Nord Stream 2“. Beide wurden erst 2022 als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sowie der daraus folgenden bundesdeutschen „Zeitenwende“ eingestellt.

Inhalt

Die „wiederbelebte“ DDR

In „Plan D“ gab es statt der Wiedervereinigung 1990 eine „Wiederbelebung“, unter der Führung des vor den großen Unruhen an die Macht gekommenen Egon Krenz. Dabei wurde die Stasi unter dem aus der BRD rekrutierten Otto Schily – in der realen Geschichte war er 1998 bis 2005 SPD-Innenminister unter dem Kanzler Gehard Schröder – offiziell umstrukturiert und verkleinert.

Damit sicherte sich die DDR finanzielle Unterstützung aus dem Westen.

Auch wurde die Mauer kurzzeitig von Egon Krenz geöffnet, aber nach der Flucht von über einer Million Bürger wieder geschlossen.

2011 existiert die DDR daher immer noch und ist Mitglied einer „Sozialistischen Union“. Auf der anderen Seite ist die Bundesrepublik Deutschland Teil der EU.

Doch die DDR ist immer maroder geworden (siehe Bild unten). Als einige von wenigen Möglichkeiten bringen die Einnahmen aus den Transitgebühren der Gasleitungen Geld ins Land.

Foto des alten Wappens der DDR
(dimm3d/Shutterstock)

Im November 2011 stehen nun neue Verhandlungen mit dem Bundeskanzler Oskar Lafontaine – in der realen Geschichte von 1998 bis 1999 SPD-Wirtschaftsminister unter Gerhard Schröder, danach Mitgründer der Linkspartei – an. Dieser hat sich nach der Finanzkrise gegen den hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch durchgesetzt und möchte die Transit- und Erdgasgeschäfte nochmals ausweiten.

Lafontaine hatte die SPD zu einer linken Bürgerbewegung umgebaut und regiert 2011 mit den Grünen um Claudia Roth. Letzte war in der realen Geschichte Anfang der 200er Jahre zweimal Co-Vorsitzender ihrer Partei als Vertreterin des linken Flügels.

Doch die deutsch-deutschen Gespräche sind vorbelastet, denn seit der Zeit von Kanzler Schäuble sind die Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten an Rechtsstaatsprinzipien gebunden, die unter anderem die Stasi einschränken.

Gleichzeitig ist die Bundesrepublik für ihre wirtschaftliche Stabilität von den Gaslieferungen abhängig und Lafontaine als Kanzler hat kein Interesse an deren Abbruch. Allerdings muss er auch die Rechtsstaatsprinzipien beachten, auf die die EU inzwischen ebenfalls achtet.

Die politische Lage vor den Gesprächen ist also kompliziert.

Der Mord und der „Plan D“

„Plan D“ beginnt mit einem Mordfall des Volkspolizei-Hauptmanns Martin Wegener. Doch obwohl der Mord nach Methoden der Stasi aussieht, muss er den Fall nicht an die dafür zuständigen Behörden abgeben.

Denn der Tote, Albert Hoffmann, war in der Zeit der „Wiederbelebung“ Berater von Egon Krenz und ehemaliger westdeutscher Staatsbürger.

Als der SPIEGEL daraus eine Titelgeschichte über eine mögliche Ermordung durch die Stasi (siehe Bild unten) macht, kann diese den Fall wegen der internationalen Verwicklungen vor den deutsch-deutschen Gesprächen nicht übernehmen.

Foto der Mütze eines Stasi-Offiziers
(Steve Scott/Shutterstock)

Stattdessen soll Wegener als Kompromiss vor den innerdeutschen Konsultationen gemeinsam mit westdeutschen Ermittlern den Fall untersuchen.

Dabei steht er unter enormen politischen Druck. Denn die Bundesrepublik droht bei einem Nachweis der Vermittlung der Stasi mit einem Abbruch der Gespräche. Und die DDR braucht die zusätzlichen Einnahmen, um den Zusammenbruch zu verhindern.

Als er die Ermittlungen mit Richard Brendel, Chef der Westberliner Sonderermittler, und Christian Kayser, dem Verbindungsmann zum Bundesnachrichtendienst beginnt, findet er zunächst keine Spur bis auf kleine Indizien, mit denen im Zuge der „Wiederbelebung“ entlassene Stasi-Agenten vermeintliche Verräter ermordeten.

Und dass Hoffmann ein Doppelleben als Gärtner im Regierungsviertel Wandlitz führte.

Dann kommt es zu einem schweren Anschlag auf den Palast der Republik durch die Gruppe „Brigade Bürger“. Gleichzeitig stoßen die Ermittler um Wegener immer tiefer in das Leben von Albert Hoffmann vor und kommen auf den „Plan D“, seine Visionen für die DDR vor 30 Jahren.

Damit kommt Wegener immer mehr den größten Geheimnissen der „wiederbelebten“ DDR auf die Spur. Geheimissen, die sogar seine Vorstellungskraft übersteigen.

Rezension

Albert Hofmann als Deus ex machina

Das Szenario der „Wiederbelebung“ der DDR bleibt in „Plan D“ lange Zeit ungeklärt. Bis zum Ende deutet Simon Urban nur ein paar Mal an, wie es der SED-Führung um Egon Krenz gelungen war, die DDR bis ins Jahr 2011 zu erhalten.

Aufgrund dessen tue ich mich schwer, den Realismusgehalt der Alternativwelt von „Plan D“ zu bewerten.

Vielmehr finden sich im Roman Diskussionen wieder, die eher mit den energie- und umweltpolitischen Debatten des Erscheinungsjahres, aber auch seit der „Zeitenwende“ 2022 zu tun haben, wie dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Bau von Nord Stream 1.

Da die Situation im Ostblock bzw. in „Plan D“ der „sozialistischen Union“ kaum Erwähnung findet, ist auch unklar, wie stabil sich die anderen sozialistischen Diktaturen bis zum Jahr 2011 entwickelt haben. Nur die russisch-sowjetischen Gashändler werden in wenigen Kapiteln beschrieben.

Ein weiterhin stabiler Ostblock (siehe Karte unten) wäre aber ein Grundpfeiler des Szenarios: Denn die DDR verlor 1989 bereits vor dem Mauerfall viele Menschen durch die Grenzöffnungen von zum Beispiel Ungarn. Und eine Schließung der Grenzen zu Polen und der Tschechoslowakei erwähnt Simon Urban nirgends.

Karte von Europa im Kalten Krieg
(Borhax/Shutterstock)

Auch die Auflösung des „Plan D“ ist aus meiner Sicht unrealistisch. Hier und bei der „Wiederbelebung“ nimmt Albert Hofmann für Simon Urban eher die Rolle eines Deus ex machina ein. Allerdings nur, was seine ursprünglichen Planungen und seine kurzzeitige Rolle als Berater von Egon Krenz angeht.

Ob beabsichtigt oder nicht: Googelt man den Namen Albert Hof(f)mann, kommt man bezeichnenderweise auf den fast gleichnamigen Erfinder des Halluzinogens LSD.

Aus meiner Sicht steht daher das Alternative History Szenario des Romans auf sehr wackeligen Füßen.

Martin Wegener als spannender Klischeekommissar

Abseits der Alternativwelt war „Plan D“ für mich flüssig und gut zu lesen.

Bis zum Ende gibt es immer wieder erzählerische Wendungen und Überraschungen.

Hinzukommt eine sehr detaillierte Beschreibung der „wiederbelebten“, aber komplett maroden DDR des Jahres 2011. Teilweise wirkt das Land aber nur „eingefroren“ in der Bröckeligkeit von 1989/1990.

Dabei tauchen viele bekannte Namen auf, die Simon Urban ironisch verarbeitet: Von der SED/PDS/Linken-Politikern Gesine Lötzsch („Lötzsch-2-Empfänger“) und Gregor Gysi über Angelika Unterlauf als weiter amtierende Sprecherin im DDR-Fernsehen bis zu Matthias Sammer als Trainer der Fußballnationalelf um Michael Ballack.

Den größten Platz nimmt Sahra Wagenknecht ein, die als Schauspielerin an der Seite von Peter Sodann für den Film „Red Revenge“ gefeiert wird.

Am Ende taucht auch kurz Angela Merkel in einem Werbespot unter ihrem Geburtsnamen auf.

Simon Urban erzählt „Plan D“ (siehe Bild unten) jedoch aus der Perspektive des Ermittlers Martin Wegener.

Buchcover von "Plan D" des Autors Simon Urban
(Eigenes Bild)

Dieser wirkt zuerst wie ein klischeehafter Krimikommissar aus einem Film Noir. Er ist zwar ein hervorragender Ermittler, wird aber verfolgt vom Verschwinden seines Vorgesetzten und Freundes Josef Früchtl. Zudem lebt er alleine, nachdem ihn seine Freundin verlassen hatte, die er natürlich immer noch liebt.

Wegener wirkt durch die zahlreichen Beschreibungen aber auch sehr nahbar. Besonders seine gedanklichen Diskussionen mit einem imaginären Josef Früchtl lesen sich spannend.

Hinzu kommen seine oft paranoiden Vermutungen, mit denen er sich einerseits oft auf den ersten Blick falsche Fährten legt und manchmal selbst schadet. Andererseits bewahrheiten sich im Laufe der Romanhandlung viele seiner paranoiden Ideen.

Zum Beispiel in den Gedanken von Wegener greift Simon Urban zu viel Wortakrobatik und -neuschöpfungen. Das war aus meiner Sicht manchmal des Guten etwas zu viel, aber selten langweilig.

Vor allem in den imaginären Diskussionen zwischen Wegener und Früchtl führt Simon Urban auch politische Diskussionen, zum Beispiel um die Reformfähigkeit des Sozialismus in der DDR auf. Dabei fallen durchaus interessante Begrifflichkeiten wie „Redundante Politische Generationendämlichkeit“.

Mit letzterem wird „Plan D“ aus meiner Sicht ein Lehrstück über die Zähigkeit von Ideologien wie des Sozialismus und des Wunschdenkens, das Menschen damit verknüpfen.

Daher empfehle ich „Plan D“ zwar nicht als Alternative History Roman, aber als spannenden allgemeinen Lesestoff.

Quellen und Literatur

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