Der gewaltsame Tod von Rosa Luxemburg spaltete die deutsche Linke 1919 endgültig – sogar bis heute. Doch was wäre gewesen, wenn sie den Mordversuch überlebt hätte?

Ankerpunkt

Die Lage 1918/1919

Zu Beginn des Jahres 1919 waren das Deutsche Reich und vor allem Berlin in Aufruhr: In Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs und der vom Kieler Matrosenaufstand ausgehenden Revolution war das alte Kaiserreich zusammengebrochen.

Die neuen Regierenden im „Rat der Volksbeauftragten“ standen vor beinahe unlösbaren Aufgaben: Das besiegte Heer (siehe Bild) musste demobilisiert und die Wirtschaft von Krieg auf Frieden umgestellt werden.

Verwundete deutsche Gefangene, die britischen Soldaten medizinisch versorgt werden, circa September 1918.
(Everett Collection/Shutterstock)

Zudem galt es, die Friedensverhandlungen mit den Alliierten rasch abzuschließen. Denn die Blockade der Handelswege seit Kriegsbeginn vor vier Jahren löste eine immer stärker werdende Hungersnot in der Bevölkerung aus.

Angesichts dieser Probleme ging fast unter, dass die „Spanische Grippe“ als größte Epidemie des 20. Jahrhunderts auch im Land grassierte.

Zuletzt musste die provisorische Reichsregierung aus dem alten Kaiserreich einen neuen Staat aufbauen.

Vor allem um diese Frage kam es zu Konflikten, die um die Jahreswende 1918/1919 eskalierten.

Denn die politische Linke als Trägerin der Revolution war gespalten: Parallel zum „Rat der Volksbeauftragten“ existierten Arbeiter- und Soldatenräte, die ihren Einfluss behaupten wollten.

Auch der Rat war gespalten, denn die Vorkriegs-SPD als Sammelbecken der politischen Linken hatte sich ab 1914 in der Frage der Kriegskredite gespalten.

Während die „Mehrheitssozialdemokratische Partei (MSPD)“ immer staatstragender auftrat, gab es die radikaleren Linken bei der „Unabhängigen sozialdemokratischen Partei (USPD)“.

Von letzterer spaltete sich die „Spartakus-Gruppe“ ab, aus der später die „Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)“ entstand.

Dieser Konflikt verschärfte sich vor allem durch die Tatsache, dass es im Reich kein Gewaltmonopol des Staates gab.

Stattdessen kursierten wildeste Gerüchte über politische Gegner und Gewaltaufrufe bis zum Mord. Immer wieder kam es daher zu Panikreaktionen der verschiedenen Gruppen und Schießereien mit Toten.

Da die provisorische Regierung über keine eigenen Truppen verfügte, stützte sie sich immer mehr auf die verbliebenen Einheiten der Reichswehr, die sich nach und nach zu rechtsradikalen Freikorps entwickelten.

Diese bestanden aus Soldaten, die von vier Jahren Weltkrieg enthemmt und ans Töten gewöhnt waren.

Diese Verhältnisse wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 zum Verhängnis.

Der Mord an Luxemburg und Liebknecht

Ab dem 5. Januar versuchte die „Spartakus-Gruppe“ um die populären Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die angesetzten Wahlen zur Nationalversammlung zu verhindern und stattdessen eine „Räterepublik“ sowie die „Diktatur des Proletariats“ zu errichten.

Als der Aufstand in Berlin nach nicht einmal einer Woche blutig scheiterte, tauchten beide unter.

Denn sie galten vor allem den rechten Freikorps, die die versuchte Revolution niedergeschlagen hatten, als zu vernichtende Feinde.

Als eine selbsternannte Bürgerwehr beide in ihrem Versteck aufspürte und in das Hauptquartier der konterrevolutionären „Garde-Kavallerie-Schützen-Division“ brachte, war de facto ihr Leben verwirkt.

Soldaten des Freikorps misshandelten Luxemburg und Liebknecht, ermordeten beide am 15. Januar 1919 und versuchten danach zuerst, ihr Verhalten zu vertuschen.

Als der Mord allerdings öffentlich wurde, spaltete er vor allem die politische Linke in der entstehenden „Weimarer Republik“.

Umstritten war besonders die Rolle von Friedrich Ebert (siehe Bild) als Vorsitzender des „Rats der Volksbeauftragten“ sowie des dort für Militär und Sicherheit zuständigen Gustav Noske.

Foto des Reichspräsidenten Friedrich Ebert
(Everett Collection/Shutterstock)

Beide Sozialdemokraten trugen als Teil der provisorischen Reichsregierung formal die Verantwortung für das Militär.

Faktisch agierten die antisozialistischen Freikorps relativ autonom und hassten auch die provisorische MSPD-Regierung.

Dennoch warf seitdem die radikale Linke den Sozialdemokraten vor, die Morde nicht nur gutgeheißen, sondern sogar beauftragt zu haben.

Der Hauptzeuge Hauptmann Waldemar Pabst von der „Garde-Kavallerie-Schützen-Division“ behauptete Jahre später sogar, er hätte die Ermordung mit Gustav Noske abgesprochen.

Symbolisch stand die Ermordung für den angeblichen Verrat der MSPD an Revolution und Arbeitern.

Die SPD konterte mit der Anklage, Luxemburg und Liebknecht hätten eine gewaltsame kommunistische Diktatur wie in der UdSSR angestrebt.

Da die Morde nie juristisch aufgeklärt wurden – der offizielle Prozess im Mai 1919 erwies sich als Justizskandal –, blieb diese Kontroverse ungeklärt.

Das Schicksal anderer Beteiligter des Aufstandes war unterschiedlich: Leo Jogiches als Nachfolger im KPD-Vorsitz wurde im März 1919 ermordet. Andere wie Paul Levi und George Ledebour wurden „nur“ vor Gericht gestellt.

Die Ikone Rosa Luxemburg

In der „Weimarer Republik“ wurde vor allem Rosa Luxemburg zu einer Märtyrerin der KPD, der bis heute an ihrem Todestag mit einem Umzug in Berlin gedacht wird.

Schon als Mitglied der SPD vor 1914 galt die promovierte Nationalökonomin als glänzende Rhetorikerin, begabte Theoretikerin und daher als eine der prominentesten Sozialdemokratinnen.

In der DDR war das Verhältnis zu ihr dagegen zwiespältig. Zwar verehrte das Regime sie weiter als antifaschistische Ikone.

Allerdings machte sie vor allem ihr bekanntestes Zitat, „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ zu einem Vorbild für die DDR-Opposition und in Westdeutschland für die 68er-Generation.

Einer breiten Öffentlichkeit war aber unklar, in welchem Zusammenhang Luxemburg den Ausspruch meinte.

Schriftlich belegbar existierte er nur als Randbemerkungen in einem ihrer Texte, der erst nach ihrem Tod veröffentlicht wurde.

Am plausibelsten gilt, dass „die Freiheit des Andersdenkenden“ nur für Anhänger der Revolution zu gelten hatte und nicht für „Konterrevolutionäre“ und „Arbeiterverräter“.

Dennoch setzte sich damit vom russischen Bolschewismus ab, denn sie verurteilte so die Meinungsdiktatur einer einzigen Partei innerhalb der Revolution.

Dennoch galt der Lebensweg der gebürtigen Polin und Jüdin sowohl als faszinierend als auch durch ihre Ermordung als tragisch.

Die nach wie vor bestehende Verehrung für Rosa Luxemburg zeigt zum Beispiel eine Statue von ihr in Berlin (siehe Bild).

Foto einer Statue Rosa Luxemburgs
(ArTono/Shutterstock)

Da die Morde bisher nie komplett aufgeklärt werden konnten, belasten die damaligen Ereignisse nach wie vor die politische Linke in Deutschland.

So gab es zum 100. Jahrestag 2019 erneut Forderungen von linken Intellektuellen, die SPD solle die Verantwortung für die Morde übernehmen. Dies wies die SPD zurück.

Inhalt

Die erfolgreiche Revolution

In „Das Luxemburg-Komplott“ werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dagegen am 15. Januar 1919 nicht getötet, sondern von unbekannten „Revolutionären Obleuten“ befreit.

Als Reaktion schicken Lenin und der Tscheka-Chef Felix Dserschinski den ehemaligen deutschen Soldaten und Tscheka-Angehörigen Sebastian Zacharias nach Berlin (siehe Bild von 1932).

Schwarz-Weiß-Foto des Brandenburger Tors im Jahr 1932
(Everett Collection/Shutterstock)

Dieser plagt sich noch mit seinen Traumata aus der Tscheka-Zeit, in der er echte und vermeintliche Feinde der sozialistischen Revolution umbrachte.

Er rechtfertigt dies vor sich selbst mit dem Argument, dass die bolschewistische Revolution in Russland sonst gescheitert wäre.

Zurück in Berlin erlebt Zacharias, wie sehr sich seine Erinnerungen aus der Vorkriegszeit von den aktuellen Verhältnissen unterscheiden. Denn die Metropole und seine Familie sind von Tod, Hunger, Elend und Gewalt geprägt.

Gleich bei seinem ersten Kontaktversuch mit den Anhängern von Rosa Luxemburg wird er von der Polizei verhaftet und kann sich nur durch seine Erfahrung mit konspirativen Methoden retten.

Ein zweiter Versuch ist zwar erfolgreich, aber die Linken um Rosa Luxemburg erweisen sich als zerstritten und sind ständig von den Freikorps bedroht.

Erst als Zacharias eine erneute Verhaftung verhindert, gelingt es ihm, das Vertrauen der Genossen im Untergrund zu gewinnen.

Die Wende bringen jedoch ein Generalstreik und der erneute Aufstand der Arbeiter in Berlin im März 1919.

Vor allem als Rosa Luxemburg und Zacharias vom geheimen Abkommen zwischen Friedrich Ebert und dem Oberbefehlshaber der Reichswehr Wilhelm Groener zur Niederschlagung des Aufstandes erfahren, stellen sich die Arbeiter an ihre Seite.

Dies führt zu einer erfolgreichen Revolution in Berlin. Am 8. März 1919 konstituiert sich im Reichstag eine provisorische Revolutionsregierung.

Die gefährdete Revolution

Doch damit beginnen neue Probleme.

Die Macht der Revolutionsregierung ist auf wenige Großstädte beschränkt, während außerhalb Freikorps zum Gegenschlag ansetzen.

Intern eskalieren die Konflikte zwischen Anhängern der russischen Bolschewiken, die Gewalt gegen echte und vermeintliche Feinde predigen, und den restlichen Sozialisten.

In dieser Situation ist Zacharias ständig im Zwiespalt zwischen seinem Auftrag, Rosa Luxemburg zu beschützen und andererseits für Lenin (siehe Bild) in Moskau zu arbeiten.

Schwarz-Weiß-Foto von Lenin an seinem Schreibtisch
(Everett Collection/Shutterstock)

Dieser Gegensatz verschärft sich schnell, als es zu einem ersten Anschlag auf Rosa Luxemburg kommt und Zacharias den Mord aufklären soll.

Gleichzeitig bedeuten ihm seine Auftraggeber, dass sie Rosa Luxemburg immer mehr als ein Hindernis auf dem Weg zur bolschewistischen Revolution in Deutschland betrachten.

Je tiefer Zacharias in die immer chaotischere Revolution und die Ermittlungen gerät, desto mehr muss er um das Leben von Rosa Luxemburg fürchten – und um sein eigenes.

Rezension

Die Stärke des Christian von Ditfurth

In „Das Luxemburg-Komplott“ zeigt sich einmal mehr die Stärke des Autors Christian von Ditfurth.

Wie bei den Hauptcharakteren in „Der Consul“ und „Der 21. Juli“ ist Sebastian Zacharias ein mehrfach gebrochener Charakter.

Einerseits sieht sich Zacharias als jemanden, der noch immer in der eigenen Vergangenheit, teilweise vor dem Ersten Weltkrieg, teilweise in seiner Tscheka-Zeit lebt. Beides traumatisiert und verfolgt ihn nachvollziehbar.

Andererseits steht Zacharias stellvertretend für die Zerrissenheit der alten Sozialdemokratie, deren Gewissheiten 1918/1919 zerstört waren. Und deren Trauer über die verlorenen Wahrheiten teilweise in Hass umschlägt, auch wenn das Gewissen nie schweigt.

Neben dem interessanten Hauptcharakter stellt die Dichte der Alternativwelt erneut ein Plus von „Das Luxemburg-Komplott“ dar. Als Leser taucht man sofort in das revolutionäre Berlin des Jahres 1919 ein.

Ein mehrseitiges Personenregister am Ende des Romans erleichtert dieses Mal die Orientierung und zeigt einmal mehr, wie gut es Christian von Ditfurth versteht, „reale“ Persönlichkeiten in seine Romane einzubauen.

Damit zeigt sich, wie gebrochen manche Lebensläufe auch in der „realen“ Geschichte waren.

Als Beispiel dient Ernst Reuter unter seinem Tarnnamen Friesland, der sich vom radikalen KPD-Mitglied 1919 zum antikommunistischen Oberbürgermeister von Westberlin während der „Berliner Blockade“ der Sowjetunion 1948 wandelte.

Die radikale Linke und ihre Dilemmata

Mit den Charakteren und vor allem dem Hauptcharakter Zacharias stellt Christian von Ditfurth in „Das Luxemburg-Komplott“ auch das ewige Dilemma der politischen und radikalen Linken dar.

Buchcover "Das Luxemburg-Komplott", geschrieben durch Christian von Ditfurth
(Eigenes Bild)

Dies betrifft das harte Ringen um die Begriffe „Demokratie“ und „Revolution“.

Denn selbst innerhalb der revolutionären Linken des Jahres 1919 legt jede Gruppierung beides anders aus.

Und keine Gruppe versteht, dass die anderen Sozialisten nur anderen Auslegungen folgen. Stattdessen gelten Abweichler schnell als generelle Feinde der Revolution.

Ein Manko sowohl aus wissenschaftlich-historischer Sicht als auch für die Erzählung ist die auch im Roman bestehende Heiligenverehrung von Rosa Luxemburg.

Die Rosa Luxemburg, die im „realen“ 1919 noch zur gewaltsamen Revolution aufrief, agiert hier einseitig nach ihrem bekanntesten Zitat.

Als einziger Charakter wirkt sie von Anfang bis Ende gut. Als einziges Manko beschreibt Christian von Ditfurth ihren naiven Glauben an das Gute im Sozialismus.

Der Ankerpunkt selbst wird am Anfang nur angedeutet und erst am Ende aufgelöst. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Verschwörung der Reichswehr allerdings unrealistisch.

Der Hintergrund ist aber klug gewählt, da die Verschwörung nur funktioniert, weil die radikale Linke die gestellte Falle sofort glauben will.

Mein Fazit: Ein sehr lesenswerter Roman über einen alternativen Verlauf der Revolution von 1918/1919. Und über die Tatsache, dass auch die radikale Linke in der Geschichte und Politik Ikonen braucht – und wenn es nur theoretische oder in diesem Falle alternativgeschichtliche sind.

Quellen und Literatur

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