1999 ist Deutschland unter dem Sozialismus wiedervereinigt. Denn in diesem satirischen Alternative History Roman übernahm die DDR die Bundesrepublik.

Ankerpunkt

Der Roman selbst äußert sich kaum darüber, wie und wo das alternative Szenario von der realen Geschichte abweicht. Meine Vermutung ist, dass schlicht der „Augustputsch“ von 1991 auf das Jahr 1988 verlegt wurde.

Dabei versuchten am 19. August 1991 kommunistische Hardliner mithilfe von Militäreinheiten den noch amtierenden Generalsekretär Michail Gorbatschow zu stürzen.

Ihr Ziel war es, das kommunistische System vor weiteren Reformen zu bewahren und die Diktatur wieder zu errichten.

Bereits 1989/1990 war die „Deutsche Demokratische Republik“ (DDR, siehe Bild) untergegangen und mit der Bundesrepublik Deutschland wiedervereinigt worden. Im gleichen Zeitraum brachen auch die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa zusammen.

Foto des alten Wappens der DDR
(dimm3d/Shutterstock)

Nun stand auch die Sowjetunion als jahrzehntelange Supermacht des Kommunismus angesichts von vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen Krisen vor enormen Umwälzungen.

Vollkommen ausgeschlossen war ein Erfolg der Putschisten nicht: Zwar war Gorbatschow aufgrund seiner gescheiterten innenpolitischen und wirtschaftlichen Reformen in der Bevölkerung äußerst unbeliebt.

Statt sich jedoch auf die Seite der alten Elite des maroden Systems zu stellen, leistete die russische Bevölkerung unter Führung des gewählten russischen Präsidenten Boris Jelzin Widerstand. Auch in anderen Landesteilen gab es Widerstände.

Auf diese Reaktion waren weder die Putschisten noch das Militär vorbereitet. Da es keinen Schießbefehl gab, blieben die Hardliner ohne reale Macht auf der Straße.

Nach drei Tagen scheiterte der Putsch endgültig. Zwar gelangte Gorbatschow nochmals zurück an seine Position.

Da das Scheitern des kommunistisch-sowjetischen Systems aber offenkundig geworden war, blieb er ohne Macht, um den Untergang von beidem aufzuhalten. Die Sowjetunion löste sich noch Ende 1991 (siehe Bild) auf.

Foto einer Fahne der Sowjetunion im Vordergrund und einer Fahne von Russland im Hintergrund.
(Diego Fiore/Shutterstock)

Inhalt

„Die Mauer steht am Rhein“ erzählt aus der Perspektive eines anonymen, ehemaligen Sportreporters der „Rheinischen Post“ eine alternative Geschichte von Ende der 1980er Jahre bis ans Ende der 1990er Jahre.

Er selbst geriet nach zwei Fehlern ins Visier der neuen politischen Machthaber. Daher musste er aus der Demokratischen Republik Deutschland (DRD) in die neutrale Schweiz flüchten.

In diesem Exil beginnt er an einem Buch zur „Deutschen Einheit“ zu schreiben.

Diese Entwicklung begann im August 1988. Zu diesem Zeitpunkt stürzten die Hardliner im sowjetischen Politbüro um Andrej Gromyko sowie Jegor Ligatschow mithilfe des Militärs den amtierenden Generalsekretär und Reformanhänger Gorbatschow.

Die neue Führung ging das Wettrüsten mit den USA aktiv an und setzen den Westen politisch und militärisch immer mehr unter Druck. Ebenso setzen sich in der DDR die Hardliner durch. Damit endete die Entspannungspolitik zwischen den Blöcken des Kalten Krieges endgültig.

Aus Angst vor einem nun wieder möglichen Atomkrieg erstarkte überall in den westlichen Ländern die Friedensbewegung.

Daher gelang es der Sowjetunion, das westliche Bündnis zu spalten. Denn 1989 waren die restlichen NATO-Partner bereit, Westdeutschland zu opfern, um den Frieden zu sichern.

Auf einer Konferenz der Vier-Mächte in Genf beschlossen die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, dass sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR aus ihren Blöcken herausgelöst und eine gemeinsame Föderation bilden sollten.

Das Europa von „Die Mauer steht am Rhein“ sieht auf einer Karte wie folgt aus: Neben den Staaten von NATO (blau), Warschauer Pakt sowie dessen sozialistischen Verbündeten (hellrot) und den neutralen Staaten (grün) steht das unter sozialistischen Vorzeichen wiedervereinigte Deutschland.

Karte von Europa in der Alternativwelt von "Die Mauer steht am Rhein"
(Borhax/Shutterstock)

Die Welt und die sich gegenüber stehenden Blöcke wurden neu eingeteilt. Die neue Ordnung war unter Opferung der Deutschen stabiler, da beide Machtsphären vorerst klarer voneinander abgetrennt blieben.

Da die Konferenz die Durchsetzung der Sowjetunion übertrug, nutzte diese das ihr zugestandene temporäre Militärkontingent in Westdeutschland und den gleichzeitigen Abzug der NATO, um die Einheit unter den Vorzeichen des Sozialismus dauerhaft zu lösen.

Entsprechend wenig hielten sich die Verhandlungsführer der DDR an die zuerst gegebenen Versprechen für die gemeinsame Föderation der DRD. Zuerst gemachte Zugeständnisse und Grundrechte für den westdeutschen Teilstaat verkümmerten in der Realität der Vereinigung immer mehr.

Schritt für Schritt wurde die Bundesrepublik „DDRisiert“: Teilweise mittels Zwang der bereits bestehenden Organe des Teilstaates DDR oder vielfach aus Opportunismus der westdeutschen Elite.

So gab es zuerst enormen Widerstand in allen Parteien gegen die Vereinigung mit ihren Ost-Pendants: Jedoch konnte die DDR-Führung, die in der neuen DRD-Föderationsregierung das Sagen hatte, sich immer mehr durchsetzen.

Widerständler innerhalb der Parteien, wie Hans-Jochen Vogel oder Willy Brandt in der SPD wurden ins Exil getrieben. Die Grünen fielen einer Verhaftungswelle zum Opfer. Zeitgleich förderte die Stasi (siehe Bild) überall Funktionäre, die für eine Annäherung plädierte.

Foto der Mütze eines Stasi-Offiziers
(Steve Scott/Shutterstock)

Als Erstes fielen die Deutschnationalen um, die mit der autoritären Ader der DDR gut zurechtkamen.

Nach mehreren Jahren Bearbeitung, Druck und Aufbau von treuen Funktionären war das politische System der DRD unter den Vorzeichen „der antimonopolistischen Demokratie“ umgestaltet: Die SPD fusionierte mit der SED zur Sozialistischen Einheitspartei der DRD (SedDRD). Die CDU und CSU sowie FDP schlossen sich jeweils Blockparteien aus dem Osten an.

Die Wirtschaft der alten Bundesrepublik war 1999 schließlich komplett sozialisiert. So arbeitete Volkswagen als „Volkseigener Betrieb (VEB) Wolfsburg“, während BMW und Daimler-Benz zum „VEB Autobau Süd“ fusionierten.

Die alten Gewerkschaften waren ebenfalls mit den SED-Organisationen vereinigt. Am Anfang des Romans wurde noch berichtet, dass der ehemalige IG-Chemie-Vorsitzende als „US-Spion“ vor Gericht stand.

Allerdings litt die neue Planwirtschaft unter erheblichen Mängeln, was zu Versorgungsengpässen führte. Ein daraus resultierender Aufstand im Ruhrgebiet 1993 wurde aber niedergeschlagen.

Die Grenze nach Westen war mittels neuester Technologien noch undurchdringlicher als die alte Mauer (siehe Bild).

Foto einer Anlage der ehemaligen Berliner Mauer
(Peter Schulzek/Shutterstock)

Einige westdeutsche Politiker wie Joschka Fischer oder Heiner Geißler versuchten im Schweizer Exil die Opposition zu vereinen, scheiterten aber an den ideologischen Vorbehalten und Vorwürfen über die jeweiligen Fehler in der „Wendezeit“.

So saß 1999 Egon Krenz als Vorsitzender des Förderationsausschusses der DRD, Generalsekretär des Zentralkomitees der SedDRD und Vorsitzender des Staatsrats der DPD fest im Sattel.

Jedoch steuerte die Welt auf eine neue Krise zu, da beide Blöcke sich wieder feindseliger gegenüberstanden. Der hochgerüstete sozialistische Block litt weiter unter wirtschaftlichem Niedergang und versuchte nun wieder wie 1989 eine Lösung über politischen und militärischen Druck. Mit dieser resignierenden Perspektive endet der Bericht des Autors und damit das Buch.

Rezension

„Die Mauer steht am Rhein“ ist ein Roman, der sich in Bezug auf Alternative History stark auf die Alternativwelt konzentriert. Erschien 1999 und beschreibt die Neunziger aus Sicht eines wiedervereinigten Deutschlands nach dem Sieg des Sozialismus.

Buchcover von "Die Mauer steht am Rhein"
(Eigenes Bild)

Es gibt zwar immer wieder Sprünge zwischen dem Bericht über die alternative „Wende“ sowie Rückblenden des Autors über sein eigenes Leben in der DRD und im Exil.

Allerdings bleibt eine Spannungskurve, wie im klassischen Geschichtenerzählen, aus. „Die Mauer steht am Rhein“ bleibt so konsequent ein eher resignierender Bericht als ein dynamisch erzählter Roman.

In Bezug auf die Grundlagen von Szenarien in alternativer Geschichte bleibt der Ankerpunkt und dessen Entwicklung etwas unklar.

Der Augustputsch von 1991 wird einfach um drei Jahre vorverlegt und ist im Gegensatz zur Realität erfolgreich. Der Grund dafür bleibt ebenso unklar, wie für die weitere Entwicklung.

Die Erzählung bleibt insgesamt unrealistisch. Stets sind ab 1988 die Planer der Sowjetunion und der DDR ihren westlichen Pendants mehrere Schritte voraus. Nachdem die NATO über 40 Jahre die Bundesrepublik unterstützt und verteidigt hat, gibt sie so auf einmal binnen eines Jahres diesen langjährigen und wichtigen Verbündeten auf.

Widerstände in der westdeutschen Gesellschaft bleiben nur kurzzeitige Hindernisse, die in aller Ruhe überwunden werden.

Sowohl die westlichen Staaten als auch die westdeutsche Politik und Wirtschaft bleibt im gesamten Szenario passiv, ängstlich und in einem naiven Reaktionsmodus gegenüber der Umwandlung der alten Bundesrepublik in eine DRD genannte, vergrößerte DDR.

Die sowjetischen und ostdeutschen Strategen wirken dabei so genial und zielgerichtet in ihren Plänen, wie es sich die konservativste Befürchtung im „Kalten Krieg“ nicht hätte vorstellen können.

Zur Verteidigung des Romans ist aber zu sagen: Ziel scheint eher eine Satire auf die Wiedervereinigung zu sein, als ein fundiertes Alternativ History Szenario.

In dieser Spiegelung hat der Roman auch seine großen Stärken mit zahlreichen Anspielungen.

So unrealistisch, wie die gesamte Entwicklung ist, so realistisch wirken die einzelnen Schritte der DDR-Organe zur Schaffung der DRD. Oder wie es der ungenannte Autor, eventuell ein Chiffre für Christian von Ditfurth selbst, am Ende sagt:

„Sie haben in Westdeutschland Vasallen gefunden, die sich zuvor noch als Superdemokraten präsentiert haben.“

Fast genüsslich listen ganze Kapitel das Sterben des bundesrepublikanischen Systems auf: Vor allem, dass sich dieses zwar auch durch harte Repressionen wie das Gefängnis Hohenschönhausen (siehe Bild), vielmehr aber durch den Opportunismus seiner Eliten und seiner Bevölkerung auflöst.

Foto des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen
(pureshot/Shutterstock)

Dass sich viele Konservative mit der autoritären Politik der DDR gut anfreunden konnten, erscheint zum Beispiel sehr realistisch. Das Label von „Ruhe und Ordnung“ erscheint in „Die Mauer steht am Rhein“ quasi als Erfolgsformel für eine neue autoritäre Politik, die die Demokratie und den Rechtsstaat untergräbt und schlussendlich erfolgreich beseitigt.

Ebenso lakonisch kommentiert das Buch den einzigen erfolglosen Aufstand gegen die sozialistische Diktatur: Er erfolgte nicht wegen des Abbaus von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern weil das System mit seiner Staats- und Planwirtschaft den Wohlstand nicht garantieren konnte.

Eine weitere Stärke dieses Romans von Christian von Ditfurth ist der Einbau der westdeutschen Politprominenz aus den 1980er und 1990er Jahren:

Da ist Horst Eylmann, in der Realität für die CDU im Bundestag, für die Block-CDU Justizminister. Der FDP-Rechtsausleger Jürgen Möllemann wurde für seine Treue zum neuen System als Oberbürgermeister von Düsseldorf eingesetzt.

Zuletzt sind an entscheidender Stelle immer wieder die Sicherheitsdienste unter dem DRD-Innenminister Wolfgang Schäuble genannt.

Außerdem gibt es auch einige wenig bekannte Figuren: So ist der ehemalige DKP-Funktionär Manfred Kapluck als Bezirksvorsitzender von Düsseldorf-Essen eine der wenigen „Westgenossen“ mit Macht im von Ostdeutschen dominierten System.

Zuletzt weist der Roman neben personellen auch einige historische und zeitgeschichtliche Andeutungen auf. Diese nennen auch einige Romanfiguren während der Handlung selbst:

  • Die Formel der US-Friedensbewegung von 1989 „Why die for Germany?“ erinnert an die Parole „Mourir pour Danzig?“, die die französischen Kommunisten im Zweiten Weltkrieg verwendeten, um Frankreich am Angreifen zugunsten des verbündeten Polens zu hindern.
  • Die Aufgabe der Bundesrepublik 1989/1990 durch ihre Verbündeten wird mit dem „Münchner Abkommen“ von 1938 verglichen, mit dem Großbritannien und Frankreich die Tschechoslowakei dem Deutschen Reich für einen nicht eingehaltenen Frieden auslieferten.
  • Die Umwandlung der alten Bundesrepublik in die DDR-dominierte DRD weist starke Parallelen zur Machtübernahme der SED in der Nachkriegs-DDR auf, wie die Fusion mit der SPD sowie die Organisation der konservativen und liberalen Kräfte in Blockparteien.

Einige Andeutungen haben mit der Zeit sogar an Aktualität gewonnen:

  • Die sowjetische Politik von 1988 bis 1999 mit ihrem Fokus auf militärische Aufrüstung, Härte in der Außenpolitik sowie autoritär erzwungene Geschlossenheit in der Innenpolitik wirkt wie ein Vorgreifen auf die Politik von Wladimir Putin, der just im Jahr des Romanerscheinens an die Macht kam.
  • Als Hebel für die Demontage von Demokratie und Rechtsstaat der Bundesrepublik dienen die „Gesetze über den Schutz der Einheit“. Diese Entwicklung verweist auf zahlreiche Diskussionen über die Risiken von Sicherheitsgesetzen, wie sie vor allem nach 2001 beschlossen wurden.

Zusammenfassend ist „Die Mauer steht am Rhein“ ein etwas dahinplätschernder Bericht über eine alternative „Wende“ zwischen Bundesrepublik und DDR 1989/1990 (siehe Bild).

Karte der ehemaligen BRD und DDR
(Anupong Boonma/Shutterstock)

Wo die Fundierung in der realen Geschichte die Schwäche darstellt, zeigt der Roman seine Stärken vor allem in der Satire über die westdeutsche Politik und Gesellschaft. Stellvertretend dafür stehen die ausführlichen Zitate der ehemals bundesdeutschen Prominenz zur „Wahl“ von Krenz am Ende des Buches.

Wenn sich die Leserinnen und Leser dies bewusst machen, ist „Die Mauer steht am Rhein“ durchaus kurzweilig lesenswert.

Quellen und Literatur

  • Christian von Dietfurth: Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus. Köln 1999.Thalia Button
  • Rainer Eppelmann: Alptraum der Wende. Einheit, aus: DER SPIEGEL 41/1999 (11.10.1999).

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