Was wäre gewesen, wenn es tatsächlich zu Friedensverhandlungen zwischen dem Dritten Reich und den Alliierten im Zweiten Weltkrieg gekommen wäre? In einem detaillierten Roman versucht sich der Krimiautor Philip Kerr an einer Antwort.

Ankerpunkt

Die Konferenz von Teheran

Die Konferenz von Teheran vom 28. November bis zum 1. Dezember 1943 war eines der bedeutsamsten Ereignisse des Zweiten Weltkriegs.

Erstmals trafen sich die Anführer der Anti-Hitler-Koalition persönlich: Neben dem sowjetischen Diktator Josef Stalin waren dies der US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill.

Fragen gab es genug zu klären.

Zum einen drängte Stalin auf die Eröffnung einer „zweiten“ Front durch eine Invasion (siehe Bild) seiner Verbündeten in Frankreich.

Blick aus einem Landungsboot der Operation Overlord auf den Omaha Abschnitt der Normandie
(Everett Collection/Shutterstock)

Zum anderen ging es um die ersten Grundzüge einer Nachkriegsordnung in Europa.

Entsprechend gut vorbereitet war vor allem die Entourage um Stalin.

Nicht nur sorgten 3.000 Geheimdienstmitarbeiter in Teheran für die Sicherheit der Staatsoberhäupter.

Auch ließ Stalin die Räume der US-Amerikaner in der sowjetischen Botschaft verwanzen und sich täglich Bericht erstatten.

Denn die „Großen Drei“ waren sich in vielen Punkten uneinig.

So favorisierte Churchill eine Verstärkung der alliierten Aktivitäten im Mittelmeer, um der UdSSR eine zukünftige Einflusszone auf dem Balkan streitig zu machen.

Stalin wiederum war daran gelegen, seine Macht in Osteuropa auszubauen, was insbesondere das Verhältnis zur von den Briten unterstützen polnischen Exilregierung belastete.

Daher kam es mehrfach vor allem zwischen Stalin und Churchill zu Eklats, die in einem Abbruch der Konferenz hätten enden können.

Da sich Roosevelt allerdings auf die Seite von Stalin schlug, musste Churchill nachgeben und sowohl die Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich als auch einer für Stalin günstigen Aufteilung Deutschlands sowie Osteuropas zustimmen.

Während der Konferenz gab es auch Gerüchte über einen angeblichen deutschen Attentatsplan, die sogenannte „Aktion Weitsprung“.

Die heutige Forschung geht allerdings davon aus, dass es sich um reine Spekulationen handelte, die nie in eine Planungsphase übergingen.

Die angeblichen Friedensverhandlungen mit dem Dritten Reich

Dass die Konferenz von Teheran so spannungsgeladen verlief, war keine Überraschung.

Die Anti-Hitler-Koalition bestand nämlich aus ideologischen Todfeinden.

So war Churchill glühender Antikommunist, Roosevelt bekennender Kapitalist und Stalin sah sich als Anführer der kommunistischen Internationalen.

Wie weit das Misstrauen reichte, zeigte schon die Vorgänger-Konferenz in Casablanca 1943, zu der sich nach der Absage von Stalin nur Churchill und Roosevelt trafen.

Neben von Vorbehalten geprägten Verhandlungen zwischen den westlichen Alliierten um die militärische Strategie war Casablanca vor allem durch die US-amerikanische Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches geprägt.

Letzteres blieb der prägende Beschluss der Konferenz und sollte vor allem an Stalin das Signal setzen, dass die einzelnen Alliierten keine separaten Friedensverhandlungen mit dem Deutschen Reich, Italien und Japan führen sollten.

Diese heute selbstverständliche Haltung war damals durchaus unklar.

Zwar waren angebliche Friedensverhandlungen zwischen dem ehemaligen Reichskanzler und deutschen Botschafter in der Türkei sowie einem angeblichen Emissär von Roosevelt eher eine Finte des notorischen Lügners von Papen.

Auch die angeblichen Gespräche zwischen dem Leibarzt von Heinrich Himmler, Felix Kersten, und den US-Amerikanern gelten eher als Erfindung von Kersten.

Dennoch hielten sich Gerüchte über angebliche separate Verhandlungen zwischen dem Dritten Reich sowie den USA und der UdSSR hartnäckig bis in die heutige Zeit.

Sie sprechen wohl eher für das Misstrauen zwischen den eigentlichen Verbündeten als für historische Tatsachen.

Inhalt

Die Reise des Willard Mayer

In „Der Pakt“ von Philip Kerr ist dieses Misstrauen durchaus berechtigt.

Der Philosophieprofessor Willard Mayer arbeitet im Zweiten Weltkrieg für den US-Geheimdienst „Office of Strategic Services“ (OSS).

Als Analyst für deutsche Nachrichtendiensttätigkeit beobachtet er die Aktionen des Dritten Reiches.

Am 1. Oktober 1943 erhält er deshalb von US-Präsident Franklin D. Roosevelt (siehe Bild) persönlich den Sonderauftrag, die bisherigen Akten zum Massaker von Katyn auszuwerten und daraus Schlüsse für das weitere Vorgehen der USA zu ziehen.

Außenansicht des Franklin Delano Roosevelt Memorial in Washington DC
(Vacclav/Shutterstock)

Bei seinen Untersuchungen stößt Willard aber auf Gerüchte über angebliche Verhandlungen für einen Separatfrieden zwischen den USA und dem Dritten Reich.

Ebenso wird er mit seiner eigenen Vergangenheit und den daraus folgenden, gefährlichen Konsequenzen für seine jetzige Spionage-Tätigkeit konfrontiert.

Nach seiner Rückkehr aus London wird er allerdings von Roosevelt in seinen Stab für die Konferenz von Teheran abgeordnet.

Auf der Reise nach Kairo und Teheran wird er nicht nur mit den Mordaktionen eines deutschen Spions konfrontiert, sondern auch mit der schockierenden Nachricht, dass sowohl die USA als auch die UdSSR mit den Deutschen verhandeln.

Das ist jedoch nichts gegen den Schock, der ihn bei der ebenso geheimen wie überraschenden Wende der Konferenz von Teheran widerfährt.

Etwas, dass Präsident Roosevelt als das „schmutzigste Geheimnis des Krieges“ bezeichnet.

Die Aktionen des Dritten Reiches

Während Willard Mayer noch an seinen Untersuchungen sitzt, arbeiten im Dritten Reich mehrere Gruppierungen an einer Möglichkeit, die unvermeidbare Niederlage im Zweiten Weltkrieg doch noch abzuwenden.

Für Außenminister von Ribbentrop und SS-Führer Heinrich Himmler ist nach der Niederlage von Stalingrad klar, dass die Deutschen den Krieg nicht mehr militärisch gewinnen können.

Deshalb wollen sie über Verhandlungen einen Keil zwischen die Alliierten treiben und setzen auf das bereits vorhandene Misstrauen besonders zwischen den USA und der UdSSR.

Vor dem gleichen Problem steht mit Walter Schellenberg der Leiter des SS-Auslandsgeheimdienstes.

Nur, dass er kein diplomatisches Manöver, sondern ein Kommandounternehmen in Teheran plant.

Denn er sieht die Friedensgespräche als von vorneherein gescheitert und möchte die Anführer der Alliierten ermorden, um den Krieg zu entscheiden.

Auch der Militärgeheimdienst der Wehrmacht unter Admiral Canaris verfolgt ähnliche Pläne.

Doch im von Machtkämpfen geprägten Apparat des Dritten Reiches sind Schellenberg und Canaris nicht der einzigen, die eigene Pläne verfolgen.

Pläne, die sich selbst Schellenberg nicht in seinen kühnsten Träumen ausgedacht hätte.

Rezension

Die Dichte historischer Ereignisse

Philip Kerr bezieht sich in „Der Pakt“ auf viele historische Ereignisse, von denen viele eindeutig belegt sind.

Neben der Konferenz von Teheran sind dies zum Beispiel:

  • Das Massaker des sowjetischen Geheimdiensts an polnischen Gefangenen in Katyn
  • Die hohe Sterblichkeit in den Gefangenenlagern nach der Schlacht von Stalingrad
  • Der Rücktritt des Vize-Außenministers der USA, Sumner Welles
  • Die Fast-Versenkung der „USS Iowa“ mit Präsident Roosevelt an Bord durch einen fehlerhaften Befehl an Bord des Begleitzerstörers „USS Willie D. Porter“.

Andere Ereignisse aus „Der Pakt“ sind inzwischen widerlegt beziehungsweise reine Spekulationen des Autors

  • Die Attentatspläne des Dritten Reiches haben sich mittlerweile als Übertreibungen und Spekulationen von einigen Zeitzeugen herausgestellt.
  • Ebenso die Friedensgespräche vor der Konferenz von Teheran.
  • Die Gründe für das Verhalten insbesondere von Roosevelt auf der Konferenz sind reine Spekulationen.

Dennoch ist die große Stärke von Philip Kerr in „Der Pakt“ die sehr detaillierte Beschreibung von Personen und Umständen, zum Beispiel von Winston Churchill (siehe Bild).

Foto eines Denkmals für Winston Churchill
(Marbury/Shutterstock)

Jedoch ist die Grenze in der Alternative History zu damaligen Gerüchten, heutigen Spekulationen und Erfindungen des Autors nie ganz klar.

Dies führt insbesondere zu Unübersichtlichkeit, wenn Philip Kerr in einem Kapitel zu viele Personen neu auftreten lässt.

So driftet die sehr hohe Dichte des Romans, manchmal in eine mich beim Lesen überfordernde Richtung.

Zur Abhilfe bräuchte es am Ende ein Personenkataster, um die historischen Figuren einordnen zu können.

Denn nicht jeder historisch Interessierte ist zum Beispiel damit vertraut, warum der Auftritt von Kim Philby in einem Kapitel interessant ist, oder wie die nationalsozialistische „Prominenz“ nun genau aufgeteilt ist.

Die Moral von Monstern

Die Herkunft als Krimiautor merkte ich Philip Kerr und „Der Pakt“ gut an.

So hat der Roman, auch bedingt durch die Zeit, in der er spielt, starke Anlehnungen zum Film Noir.

Zum Beispiel ist der einzige Ich-Erzähler Willard Mayer ein zynischer, aber genialer Ermittler und Frauenheld.

Die Handlung ist durchaus verwinkelt und mit dem Attentat am Ende sehr überraschend.

Bei den „nationalsozialistischen Kapiteln“ kommt dieser Erzählstil allerdings aus meiner Sicht an seine Grenzen.

Denn es ist unrealistisch, dass die tatsächlich stattgefundenen Machtkämpfe im Apparat des Dritten Reiches auf die von Philip Kerr beschriebene Weise ausgefochten wurden. Denn obere Funktionäre wie Himmler oder Schellenberg machten sich eher nicht „selbst die Hände schmutzig“.

Die charakterliche Ambivalenz der nationalsozialistischen Charaktere ist zwar einerseits interessant, da historische „Monster“ auch als normale Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften geschildert werden.

Andererseits führt es aus meiner Sicht auf ahistorische Wege, wenn Hitler und Schellenberg Skrupel oder Bewusstsein für die Opfer ihrer Handlungen unterstellt wird.

Buchcover des Romans "Der Pakt" von Philip Kerr
(Eigenes Bild)

Eine gute große, aber leider zu wenig auftauchende Frage in der „Der Pakt“ wäre die nach dem Verhältnis von Moral und Realpolitik.

In der Person des Philosophieprofessors Willard Mayer spiegelt sich hier großes Potenzial wider.

So bringt sich Willard Mayer durch Handlungen, die er in der Vergangenheit aus eigenen moralischen Gründen getan hat, in der Gegenwart in Schwierigkeiten.

Umgekehrt arbeitet er in der Gegenwart nach realpolitischen Maßstäben, was aber kurz Ende bei ihm zur Erkenntnis führt, dass er und die USA dadurch kurz vor dem „moralischen Bankrott“ stehen.

Dieses „schmutzigste Geheimnis des Krieges“ ist natürlich unrealistisch, da es zu viele Beteiligte für dieses Geheimnis gegeben hätte.

Dennoch kann ich „Der Pakt“ von Philip Kerr weiterempfehlen. Zumindest, wenn sich die Leserin oder der Leser auf die Detailfülle des Romans einlassen kann.

Quellen und Literatur

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